Coronakrise: Insolvenz nicht ausgeschlossen
Verbote und Einschränkungen, aber auch einfach das Ausbleiben von Kundschaft in Zeiten der Corona-Krise haben für zahlreiche Unternehmen drastische Auswirkungen. Lokale müssen geschlossen bleiben oder dürfen nur noch zu bestimmten Zeiten öffnen, Hotelbetten bleiben leer, Lieferketten kommen zum Erliegen, Bestellungen bleiben aus.
Schlimmstenfalls führt dies zu Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit einer Firma. Ist dies der Fall, muss sich die Geschäftsführung damit beschäftigen, ob innerhalb von drei Wochen ein Insolvenzantrag zu stellen ist. Geschieht dies trotz Pflicht nicht innerhalb der Frist, drohen juristische Folgen.
Sowohl der Bund als auch der Freistaat Bayern haben umfangreiche Hilfen für Unternehmen angekündigt (Soforthilfe, Überbrückungsdarlehen, KfW, LfA etc.), allerdings kann u.U. eine entsprechende Zeit verstreichen, bis die Hilfen fließen. Das Bundesjustizministerium erarbeitete deshalb eine Regelung – über welche heute im Bundestag abgestimmt wurde – , die betroffene Unternehmen vorübergehend von der Insolvenzantragspflicht befreien soll.
Mit den folgenden Zeilen wollen wir Sie für den Notfall für eine Insolvenzantragspflicht sensibilisieren und zugleich einen Ausblick auf mögliche Neuerungen aufgrund der Corona-Krise geben:
A. Insolvenzrecht im Allgemeinen:
Im Folgenden geben wir Ihnen einen kurzen Überblick zum allgemeinen Insolvenzrecht für juristische Personen sowie zu den Besonderheiten im Rahmen der Corona-Krise.
I. Wer muss einen Insolvenzantrag stellen?
Der Antragspflicht unterliegen die Mitglieder des Vertretungsorgans einer juristischen Person.
Ist eine juristische Person zahlungsunfähig / überschuldet, muss Insolvenzantrag gestellt werden, soweit keine positive Fortführungsprognose bejaht werden kann. Dies gilt auch dann, wenn sie sich in Liquidation befindet.
Hingegen sind natürliche Personen nicht verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen – auch dann nicht, wenn sie ein Gewerbe betreiben oder freiberuflich tätig sind.
Auch Personengesellschaften (OHG, KG, GbR) trifft dem Grunde nach zunächst keine Insolvenzantragspflicht. Außer, es gibt keinen voll haftenden Gesellschafter, wie z.B. bei der GmbH & Co. KG.
Darüber hinaus muss laut BGH auch der Aufsichtsrat den Geschäftsführer im Hinblick auf die Einhaltung der Insolvenzantragspflicht beaufsichtigen.
II. Wann ist ein grundsätzlich Insolvenzantrag zu stellen?
In welchen Fällen ein Insolvenzantrag zu stellen ist, regelt zentral § 15 a Abs. 1 InsO:
„Wird eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet, haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Eröffnungsantrag zu stellen.“
Begründung für die Insolvenzantragspflicht einer juristischen Person ist also der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung (sogenannte Insolvenzreife).
Wichtig: Die Dreiwochenfrist beginnt bereits mit dem Eintritt der objektiven Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem der Geschäftsführer bei gebotener Sorgfalt die Insolvenzgründe hätte erkennen können/müssen. Wann dieser Zeitpunkt gegeben war, ist regelmäßig Thema von gerichtlichen Auseinandersetzungen.
1. Was bedeutet Zahlungsunfähigkeit?
„Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, fällige Zahlungspflichten zu erfüllen.“ (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO)
Maßgeblich für die Zahlungsunfähigkeit sind nur die objektiven Umstände.
In die zur Beurteilung maßgebliche Liquiditätsbilanz sind auf der Aktiv-Seite, neben den verfügbaren Zahlungsmitteln, die innerhalb von 3 Wochen flüssig zu machenden Mittel darzustellen und den am Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten sowie den innerhalb von 3 Wochen fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten auf der Passiv-Seite gegenüber zu stellen.
Zahlungsfähigkeit ist dann anzunehmen, wenn die fälligen Verbindlichkeiten am Stichtag erfüllt werden können.
Sind die fälligen Verbindlichkeiten geringfügig nicht gedeckt, liegt ebenfalls noch nicht Zahlungsunfähigkeit vor. Von Geringfügigkeit ist auszugehen, wenn die ungedeckten Verbindlichkeiten weniger als 10 % betragen. Eine zeitlich kurzfristige unschädliche Zahlungsstockung ist gegeben, wenn die Zahlungslücke nur 3 Wochen oder weniger besteht.
Beträgt hingegen die Liquiditätslücke 10 % oder mehr, ist Zahlungsunfähigkeit anzunehmen.
Sonderfall Corona-Krise:
Für die Aktiva-Seite sind liquide Mittel kurzfristig zu generieren z.B. über Kurzarbeitergeld, Kfw-Unternehmenskredit, Soforthilfe des Bundes, Soforthilfe des Freistaats Bayern, LfA-Kredit.
Für die Passiva-Seite kommen im aktuellen Krisenfall Steuerstundungen sowie die Aussetzung der Vollziehung in Betracht.
Es bleibt für die Prüfung und Feststellung der Tatsache, ob das Unternehmen zahlungsunfähig ist oder nicht jedoch auch bei der zukünftigen Rechtslage dabei, dass bei einem negativen Liquiditätsstatus, die liquiden Mittel spätestens innerhalb von drei Wochen tatsächlich zufließen müssen (Liquiditätszusage reicht grundsätzlich nicht) und Steuerstundungen oder Aussetzung der Vollziehung innerhalb drei Wochen gewährt werden.
Die vom Bundesministerium für Justiz aktuell geplanten Regelungen sehen allerdings vor, dass die Pflicht zur Insolvenzantragstellung für durch Corona verursachte Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bis 30.09.2020 ausgesetzt wird.
Woraus natürlich auch folgt, dass für einen dreimonatigen Übergangszeitraum auch das Recht der Gläubiger suspendiert wird, die Eröffnung von Insolvenzverfahren zu beantragen.
2. Was ist Überschuldung?
„Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.“ (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO)
Fortbestehens- bzw. Zahlungsfähigkeitsprognose
Die letztgenannte überwiegende Wahrscheinlichkeit bemisst sich anhand einer Fortbestehensprognose. Dabei handelt sich lediglich um eine Zahlungsfähigkeitsprognose. Auf die tatsächliche rechnerische Überschuldung des Unternehmens kommt es nicht an.
Die Fortbestehens- bzw. Zahlungsfähigkeitsprognose wird aufgrund des Unternehmenskonzepts und des aus der integrierten Planung abgeleiteten Finanzplans erstellt.
Für eine positive Fortbestehungsprognose ist es erforderlich, dass die Geschäftsführung die Fortführung des Unternehmens anstrebt. Innerhalb des Prognosezeitraums muss die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit wahrscheinlicher (größer 50%) sein als die Zahlungsunfähigkeit. Das heißt, aus erzielten Überschüssen müssen aktuelle wie künftige Verbindlichkeiten gedeckt werden können.
Maßnahmen zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit wie eine Kapitalerhöhung oder die Aufnahme von Darlehen können in der integrierten Unternehmensplanung im Prognosezeitraum berücksichtigt werden, wenn es sich um hinreichend konkretisierte Maßnahmen handelt, welche optimal auch schon eingeleitet wurden.
Zeitraum der Fortbestehens- bzw. Zahlungsfähigkeitsprognose
Über welchen Zeitraum die Prognose angelegt sein muss, ist nicht normiert. In der Praxis erfolgt häufig eine Zweijahresprognose. Im Einzelfall kann aber auch ein längerer oder kürzerer Zeitraum Betrachtung finden. Eingeleitete und beabsichtigte Maßnahmen zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit (z.B. Kapitalerhöhung, Kreditaufnahme) können bei zureichender Konkretisierung berücksichtigt werden.
Überschuldungsprüfung im engeren Sinn
Ist keine positive Fortbestehungsprognose möglich, wird ein Überschuldungsstatus bzw. eine Überschuldungsbilanz erstellt. Dabei erfolgt die Bewertung der Aktiva aufgrund einer negativen Fortbestehungsprognose zu Liquidationswerten. Es kommt dabei allein auf die Veräußerbarkeit in materieller und rechtlicher Hinsicht an, der Liquidationswert bestimmt sich anhand von Erfahrungswerten.
Übersteigen die angesetzten Vermögensposten die Schuldposten, liegt ein positives Reinvermögen vor. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Überschuldung ist nicht zwingend. Die Antragsstellung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit ist aber dennoch möglich.
Übersteigen die Passiva die Aktiva, spricht man von negativem Reinvermögen. Bei fehlender positiver Fortbestehensprognose und tatsächlicher rechnerischer Überschuldung wäre Insolvenzantrag jetzt zwingend zu stellen.
Überschuldung in der Corona-Krise
Problematisch ist, dass eine mittelfristige Liquiditätsplanungen z.T. in Krisenzeiten kaum möglich ist.
Hinzu kommt, dass aufgrund derzeit fehlender verlässlicher Prognosen fraglich ist, ob die Berücksichtigung staatlicher Liquiditätshilfen wie Kurzarbeitergeld, Kfw- und LfA-Darlehen, Soforthilfen etc. als prognostizierter Liquiditätszufluss tauglich sind.
Ebenso unklar ist, inwieweit Steuerstundungsanträge, Anträge auf Aussetzung des Vollzugs von Steuerbescheiden und Anträge auf Herabsetzung von Steuervorauszahlungen tatsächlich Einfluss auf den prognostizierten Liquiditätszufluss haben bzw. haben dürfen.
Klar ist indes: Die Beweislast für die in § 19 InsO geforderte „überwiegend wahrscheinlich“ eintretende Fortführung des Unternehmens trägt (derzeit) der Geschäftsführer.
B. Geplante Änderungen und Fazit:
Angesichts der Entwicklungen in der Corona-Krise sind kurzfristige Anpassungen des Insolvenzrechts zu erwarten.
Nach dem neusten Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht ist zu erwarten, dass die Pflicht zur Insolvenzantragstellung für durch Corona verursachte Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bis 30.09.2020 ausgesetzt wird.
Eine unmittelbarere Verknüpfung zwischen staatlichen Förderungen und der Zahlungsunfähigkeits- und Überschuldensprüfung wird es vermutlich jedoch nicht geben.
In Anbetracht der Regelungen, die anlässlich der Hochwasserkatastrophen 2002, 2013 und 2016 getroffen wurden, war davon auszugehen, dass die Aussetzung nicht automatisch für alle Unternehmen gilt.
So ist es nicht verwunderlich, dass die Aussetzung nach dem neusten Gesetzesentwurf dann nicht gilt, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus (Covid-19-Pandemie) beruht oder wenn keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.
Die große noch nicht geklärte Frage wird jedoch sein, wer die Beweislast für das Vorliegen der Aussetzungsvoraussetzungen nach der neu geltenden Rechtslage tragen soll?
Nach unserer Auffassung ist dies nach der Entwurfsbegründung völlig unklar, da in der Entwurfsbegründung selbst widersprüchliche Aussagen getroffen werden.
So findet man auf Seite 21 der Entwurfsbegründung beispielsweise die Aussage: „Die Beweislast dafür liegt bei demjenigen, der sich auf das Bestehen der Antragspflicht beruft.“, – also dem Insolvenzverwalter.
Nur eine Seite weiter findet man jedoch die Aussage:
„Die Vermutungsregelung des § 1 Satz 3 ändert nichts an der Beweislast. Auch wenn der Schuldner am 31. Dezember 2019 zahlungsunfähig war, bleibt es deshalb dabei, dass das Nichtberuhen der Insolvenzreife auf den Folgen der COVID-19-Pandemie oder das Fehlen von Aussichten auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit von demjenigen zu beweisen ist, der sich darauf beruft, dass die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt ist.“ – also dem Geschäftsführer.
Sollte der Wille des Gesetzgebers tatsächlich dahin gehen, dass die Beweislast für die Voraussetzungen bei demjenigen liegen, der sich auf das Bestehen der Antragspflicht beruft (also z.B. ein Insolvenzverwalter), so müsste zumindest die obige Formulierung auf Seite 22 geändert werden.
Noch besser wäre selbstverständlich eine ausdrückliche Klarstellung im Gesetz.
Sollte eine derartige Änderung nicht stattfinden, heißt das für Sie, dass Sie im Streitfall die Kausalität zwischen der Insolvenzreife und der Corona-Pandemie ebenso nachweisen müssen, wie die Einleitung von Sanierungsmaßnahmen, z.B. durch den Antrag auf öffentliche Hilfen oder die Aufnahme von Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen, als auch die begründete Aussicht auf Sanierung des Unternehmens.
All dies sollte dringend von einem Wirtschaftsprüfer bescheinigt werden, um die Überlegungen beweissicher dokumentiert zu haben.
Abschließend lässt sich feststellen, dass sofern eine Klarstellung der Beweisverteilung nicht – wie gewünscht – stattfinden wird, das scharfe Schwert des Insolvenzverwalters, den Geschäftsführer bei einer verspäteten Antragsstellung in die persönliche Haftung zu nehmen, wohl bestehen bleibt.